Wehrhahn-Linie und Legendenliebe

… Der Bauarbeiter hatte seinen gelben Sicherheitshelm auf, trug ein weißes Shirt und Bluejeans. Sein Körper rüttelte durch die Vibrationen des Presslufthammers. Er sollte ein kleines Lochin in die bereits gegossene Wand  schlagen, um dahinter einen Kabelschacht entstehen zu lassen. Die Wehrhahn-Linie wurde hier gebaut. Hart brannte die Sonne um die Mittagszeit in der Nähe von St. Peter. Der schwer arbeitende Mann machte gerade eine Doppelschicht und war definitiv dehydriert. Aber der Ingenieur hatte eine klaren Kurs angegeben: schnelles Tempo.

Die Wehrhahn-Linie wird gebaut

„Und du hast nicht geübt!! Egal, was du uns erzählst! Du kannst deinen Text nicht“, schimpfte Martha Darfo aus. Sie standen kurz vor der Generalprobe und ihre Hauptfigur vergass immer wieder seine Strophen. Darfo schaute nach unten auf den Boden, tippte nervös mit seinem Füßchen auf und ab. „Und jetzt ist es zu spät. Wir können dich nicht mehr austauschen“, schimpfte Martha weiter, und drückte ihm das Script in die Hand. Unter einem lauten Stöhnen nahm er den Stapel, setzte sich in die Zuschauerränge und tat so, als würde er seine Passagen lesen. Pah, die konnte ihn mal. Sie hatten gar keinen festen Termin, auf den sie zuarbeiteten. Es war nämlich wie es Schmetterlinge immer machen: Das Stück wurde dann aufgeführt, wenn der Gruppe danach war. Und sie sollte sich mal nicht so anstellen. Hier konnte niemand von den Schauspielern lesen, Martha selber nicht. Pah. Nur weil er sich nicht wie die anderen hingesetzt und so „getan“ hatte als würde er lesen, schimpfte sie jetzt mit ihm Pah. Uwe Leidenvoll und Lars Feuerstiel hatten ziemlich recht damit, dass man Frauen nie zufrieden stellen konnte.Pah….Und Schauspieler erst, die waren ja noch schlimmer…Pah. Wenigstens waren die Jungs von den Spezialeffekten in Ordnung. Darfo wusste jetzt nicht ganz so genau, wann sie gesagt hatte, dass sie ein Erdbeben brauchten, aber auf die Szene freute er sich jetzt schon. Zumindest hatten die Jungs das mit dem Rütteln schon mal unter Kontrolle. Der Boden ihres Theaters wackelte schon mächtig. Und das Spotlight war auch schon volle Kanne auf die Wand der Bühne gerichtet. Darfo blickte kurz nach oben zur Quelle und sah Lukas an dem drehbaren Röhrenlicht. Schnell winkten sich beide – ist doch super hier mit dem ganzen Hightech…

Diamantbohrer und andere Dinge

Der Bauarbeiter brauchte noch geschlagene zwei Stunden für ein paar Zentimeter und hatte schon die ersten Sprüche seiner Kollegen bekommen. „Wenn er so lange für eine Wand brauchte, wie lange brauchte er dann für eine Frau?“ Genau der Humor, der in ihm sturen männlichen Ehrgeiz weckte. Verdammt!! Wer  zum Geier hatte hier so eine verflixt harte Wand gegossen? Ihm kam es fast so vor, als wäre sie nicht von dieser Welt. Aber jetzt seinen Chef nach einem Diamantbohrer zu fragen, war etwas lächerlich. Und noch einen weiteren Schluck Wasser trinken, war nicht drin. Die anderen würden nur wieder lachen. „So wie du arbeitest, würde ich gerne Urlaub machen“, pöbelte Klaus von zehn Meter über ihm, genau an der Gussgrenze der Betonwand stehend, mit einem dicken Grinsen im Gesicht. Jaja. Idiot. Aber er konnte es spüren. Der Druck ließ schon nach. Gleich war er da. Fünf Stunden für eine Arbeit, die in einer halben erledigt werden konnte. Wie peinlich

„Ich liebe euch, meine Königin“

„Ich liebe euch, meine Königin“, trällerte Darfo jetzt und tat so, als würde das Gift, das er eingenommen hatte, ihn genau in diesem Moment umbringen. Wie ein sterbender Schwan fiel er zuckend auf den Boden und zappelte theatralisch. Wenn er als einfacher Ritter nicht mir seiner Liebe, Königin Gwendoline, vereint sein konnte, dann machte das Leben keinen Sinn. Sie war dem Dänenregenten versprochen. Aber sie liebte ihn eigentlich auch. Doch um diese Liebe hier und jetzt zu beweisen, hatte Ritter Darfo ein Gift geschluckt, das schnell wirkte. Martha alias Gwendoline hatte das Gegenmittel in der Hand. Liebte sie ihn, würde sie es ihm nur auf die Lippen träufeln müssen. War ihr dieser Bauernlümmel egal, konnte sie sich auf der Stelle umdrehen und gehen. Er zumindest konnte so nicht mehr weiterleben. Sie waren hier im Rosengarten. Lukas strahlte blaues Licht auf die Bühne und die Vibrationen des Königreiches in der Nähe eines Vulkans, der kurz vor der Explosion stand, machten die Techniker-Schmetterlinge echt gut.

Unter den Augen Gottes

Als der Bauarbeiter glaubte, er sei durch, legte er den Presslufthammer beiseite, und ging einen Schritt auf die Wand zu. Sein Loch war etwas größer als eine Melone. Er nahm seinen Sicherheitshelm ab und schaute rein. Aaah, da, nur noch wenige Millimeter. Er neigte sich kurz nach hinten, ballte eine Faust und schlug nach vorne. Deutlich konnte er spüren, wie das ausserirdische Material wegbrach. Schnell zog er seine Hand wieder heraus. Doch er glaubte seinen Augen nicht!! Da leuchtete blaues Licht aus der Wand!!!! Mist!! Er hatte zu hart und zu lange hier gearbeitet. Scheiß männlicher Stolz. Er hätte eine Pause einlegen oder zumindest etwas mehr Wasser trinken sollen. Dann hätte er nicht diese Halluzinationen. Aber er wollte jetzt schon wissen, was da leuchtete…vorsichtig ging er wieder einen Schritt nach vorne….auf das blaue Licht zu…und steckte seinen Kopf in das Loch…“Ich liebe euch auch. Hört ihr mich. Ich liebe euch auch, mein Ritter. Niemals werde ich zu dem Ekel in die Nordlande ziehen und meine Keuschheit diesem Widerling opfern. Hört ihr mich?“, flehte eine Schmetterlingskönigin einen am Boden liegenden Schmetterling an. Im Hintergrund saßen fast 200 Schmetterlinge mit Popcorn und Opernferngläsern bewaffnet und starrten wie gebannt auf das Theaterstück „Legendenliebe“. Einige fächerten sich mit Programmheften Wind ins Gesicht. Schrecklich warm hier unten. Das Spezialeffektgesicht eines Menschen von der Erde, der ein wenig Schmutz an den Backen hatte, hatten die Technik-Schmetterlinge echt gut hinbekommen. Wie er so das Bühnenbild aufbrach und dann hineinschaute. Das hatte schon was Mythisches. Passte voll in die Szene. Sie schhwören sich ihre Liebe unter den Augen Gottes. Exzellent. Nachher wollten sie den drei verantwortlichen Schmetterlingen dafür gratulieren. Klasse Leistung….der Bauarbeiter machte wieder einen Schritt nach hinten und zog seinen Kopf heraus. Er war vollkommen geistesabwesend. Dann bückte er sich, nahm sechs Backsteine und schob sie weit in das Loch. Eilig drehte er sich um, griff in einen nahestehenden Eimer mit Mörtel, packte eine Kelle und schmierte die Backsteine so zu, dass jede Ritze verschlossen war. Dann ging er zu seinem Chef….und ließ sich krankschreiben. War nichts, bei so einem Wetter so hart zu schufften …

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