Wolkenstadt: Wetter – Hurrikan

Drei Ameisen hüpften wie gefährliche Ninjas lautlos von Wolke zu Wolke, sprangen – und landeten mit Karate-Judo-Rollen heimlich wieder auf dem weißen Boden. Lautlos, wie Profi-Killer. Kurz cool in die Knie, die Händchen zum Sonnenschutz an die Stirn, niemand zu sehen – zumindest niemand Verdächtiges. Schnell drehte sich der Chef-Späher um … und winkte nach hinten, sie könnten unbedenklich folgen. Nur knapp einen Meter entfernt landete der Fuß der „glücklichen“ Wetterfee, die mit dem Erdhörnchen Reivate in ein ernstes Gespräch vertieft war, und traf fast die Späher-Ameisen. Ihr Anführer hatte sie nach vorne geschickt, sie nahmen ihre Aufgabe ernst – und ignorierten die Schmetterlinge auf ihren Schäfchenwolken, die stampfenden Diamantbären, die blauen Glühwürmchen sowie die drei Erdhörnchen Schippa, Freako und Koschalski. Zwischen all den Beinen lief die Ameisen-Armee, die es wie Akrobaten schaffte, jedem einzelnen Fuß aus dem Wege zu gehen. Aber auch sie waren entspannt. Sie quatschen und lachten, es schien beinahe, es handele sich hier um eine Wandertour mit Unterhaltungswert. Nur Sonja hatte anscheinend nicht den Grund ihrer Reise vergessen. Und die Blicke der Diamantbären verrieten: sie auch nicht. Sie folgten der Ozonspur, um zu den beiden Wetterfeen und der bösen Hexe zu gelangen. Die Schurkinnen hatten die Diamantbärenbabys, und sie waren aus Schmetterlingssicht auch für den schrecklichen Sommer und den verkorksten Frühling in diesem Jahr verantwortlich. „Das ging ja mal gar nicht! Deswegen sind wir unterwegs!!“, erklärte Schmetterlingsmädchen Martha einer weiteren Ameise. Wie vielen sie es schon erklärt hatte? Vielleicht Zehntausenden? Aber das war halt was mit der Hörweite. Kaum hatten die 20 Ameisen um den Fragensteller herum die Antwort vernommen, warum die berühmte Elite-Detektiv-Truppe von der Erde hier unterwegs war, da schien es so wie bei einem Fischschwarm im Meer, dass die kollektiven Synchronbewegungen wieder ganz andere Ameisen neben Martha spülten – und diese „uuuuuunbedingt“ mehr über die Schmetterlinge und die „glückliche“ Wetterfee wissen wollten. Sie hatten ja schon sooooo viel über sie gehört … Aber bei Ameisen war es wie bei größeren Märchenfiguren: Erst wenn du mit demjenigen gesprochen hast, über den die Gerüchte kursieren, erst dann konntest du wissen, wie du die Geschichte noch viel größer und besser erzählen musstest, um wahre Größe zu erreichen. Und eigentlich war das ja die Meisterdisziplin der Schmetterlinge – auch das war jedem Märchenwesen und Himmelsbewohner bekannt. „Stopp!“, rief jedoch auf einmal der Dreier-Späh-Trupp von vorne … und die komplette Armee aus Millionen von Lebewesen kam schwankend zum Stehen. „Was ist los, Soldat??“, brüllte Schippa herüber. Mit militärischer Disziplin ging er mit dem Ameisen-Chef, dem Diamantbären-Anführer, Sonja und dem Sheriff-Stern-Träger Johnny nach vorne. „Sir, entschuldigt, Sir!“, schlugen die drei Ameisen-Späher die Hacken zusammen. „Dort hinten, dort hinten scheint etwas Außergewöhnliches zu sein, das wir entweder sofort vernichten – oder vielleicht erst einmal ausspähen sollten, Sir!“ „Vernichten ist …“, ging Erdhörnchen Schippa auf die Knie und klopfte der Ameise stolz auf die Schulter, „ … eine sehr gute Alternative, wenn man keine andere hat.“ Respektvoll blickten alle Ameisensoldaten Schippa an. „Aber bevor wir hier oben Ärger bekommen …“, zeigte Schippa zu dem großen Turm vom Big-Boss, „… sollten wir schauen, dass wir eine weitere, gute Lösung finden.“ Die Ameisen tuschelten sofort untereinander, andere hüpften allerdings von einem Bein auf das andere. Sie hatten ihre Blasen voll mit ätzendem Ameisenurin – und langsam wollte es dann doch mal raus. „Wie weit ist es denn noch?“, kam schon der erste Ruf aus den hinteren Reihen. „Männer, wir werden das mal inspizieren! Koschalski, ihr kommt als Berater mit!“ Schippa wollte sich gerade umdrehen und den Diamantbären, den Schmetterlingen und der Fee sagen, dass sie besser hier bleiben sollten, das wäre eine Aufgabe für Erdhörnchen-Profis … da sah er, dass sie schon längst weitergegangen waren. Sie steuerten genau auf das Merkwürdige zu – das sich in natura dann doch nicht als sooooo „gefährlich“ herausstellte. Zumindest nicht für die Himmelsbewohner. Für die Menschen auf der Erde schon. Was sie sahen: Den Rand eines Hurrikans – vor ihnen tat sich das Auge des Monsterwirbels auf. Ruhig und sanft bewegte sich der Giganto-Ring vor ihnen im Kreis. „Shit“, fluchte Sonja bereits, die Wetterfee schien in dem Moment ratlos. „Diese fiesen …“, fluchte sie, für sie ganz ungewöhnlich Worte. Von links nach rechts bis zum Horizont war ein riiiiiiiiisieges Loch in der Wolkendecke, das sich drehte. Hier oben war es für niemanden gefährlich, aber unten auf der Erde … Allen war klar: Das hatten die weiblichen Schurken herbeigezaubert, um ihre Verfolger abzuschütteln. „Und vielleicht wollten sie ja auch, dass jemand von uns runter auf die Erde fällt“, sagte jetzt eine Diamantbärin ganz entsetzt. Ein Schrecken lief sofort durch die Reihen der Himmelsbewohner. „Und was machen wir nun?“, wollte Schmetterlingsmädchen Martha wissen. „Wir könnten eine Ameisen-Räuberleiter machen, die von hier …“, hatte Wissenschaftler Koschalski einen Stock in der Hand und zeigte auf den Rand des Horizonts direkt vor ihren Füßen, „… bis zum Ende da hinten geht. Nur dass ihr nicht steht und die Leiter in die Höhe geht, sondern ihr müsstet liegen – und uns eine Passage damit eröffnen!“ Stille. Ruhe. Ein millionenfacher Suizid für ein Erdhörnchen? Schippa erkannte die empörten Gedanken der Ameisen-Armee und zuckte einfach mit den Schultern. „Opfer müssen wir alle bringen!“ Doch Sonjas Hirn lief noch auf Hochtouren, noch war nicht aller Tage Abend. „Wir könnten …“ „Wir könnten auch erstmal eine Pause machen“, rief jetzt eine Stimme und zeigte auf die genau entgegengesetzte Seite des Hurrikans. Nur knapp fünf Meter von Sonja entfernt lag das Eingangsportal eines riesigen Freizeitparks. Hunderte Himmelsbewohner, von der Zweijährigen bis zum Greis, standen lediglich einen Meter von der Abenteuer-Armee entfernt, hatten Popcorn und Limo in den Händen und warteten darauf, endlich ihren Eintritt zu bezahlen und auf das Gelände zu kommen. Musik von kleinen Glockenspielen lief. „Huuuuuuaaaa“, kamen im Sekundentakt die Schreie der Besucher, die mit der Wildwasser- oder der Achterbahn unterwegs waren. Sie konnten Kettenkarussells und zig andere Fahrgeschäfte sehen, sogar Bungee-Jumping von einem Turm schien dort möglich zu sein. Als Sonja sich umdrehte, standen Darfo und Johnny bereits hinten in der Schlange und diskutierten intensiv, was sie als erstes besuchen sollten. Würde ja eh noch was dauern, bis Sonja eine Lösung hatte. „Öhhh“, stöhnte sie aus. Koschalski erkannte aber, dass es in der Schmetterlingskriegerin einen Geist gab, der an seinen heranreichte. Naja, heranreichen war vielleicht zu übertrieben, aber im Vergleich zu allen anderen hier oben, er schaute sich kurz um, die Diamantbären, die Ameisen, die Glühwürmchen, die „glückliche“ Fee, naja, ihr Geist hob sich zumindest von denen der anderen ab. „Wenn wir …“, flüsterte er Sonja ins Ohr und tuschelte sofort mit ihr los. Martha wurde dabei ziemlich unheimlich. Immer wieder zeigten die beiden auf ihren Anti-Beutel an ihrem Hals. Um sich abzulenken, wagte sie mal was Besonderes: Sie ging an den Rand des Hurrikans und schaute herunter … und wurde vor Schreck steif wie eine Salzsäule. Sie sah die kilometerlange Rundwand, die sich grau drehend bewegte. Blitze zuckten, immer wieder donnerte es. Doch genau in der Mitte schien alles ruhig zu sein. Sie konnte eine wunderschöne Tropeninsel sehen. Palmen, Hütten, der weiße Sandstrand am grünbläulichen Wasser – ein Paradies. Aber dann pochte ihr Herz mit einem Mal auf – aus der schwarzgrauen Wand wurde plötzlich ein groooooßer Erdöltanker wie ein Kinderspielzeug geschleudert, verlor an Schwung und dank der Schwerkraft flog er in einem Bogen kreischend und stöhnend mitten auf die Trauminsel im Sonnenschein. „Pluuuuump“, blieb er Erde aufwirbelnd mit einem leichten Nachruckeln liegen. „Lady, das ist hier nichts für Damen“, zog Erdhörnchen Reivate eine zitternde Martha zurück. Kaum drehte sie sich um, um von dem Rand des Hurrikans noch weiter wegzugehen – da standen Koschalski, Sonja und die „glückliche“ Fee vor ihr … und starrten auf ihren Regenbogenbeutel. „Wir werden es nicht schaffen, ohne ein weiteres Stück davon zu benutzen!“, streckte Sonja bereits ihre geöffnete Hand heraus. Wieder ein Stück abgeben? Martha wurde es Angst und Bange, sie drehte sich um. Der Hurrikan! „Uaah“, das war ja noch viel schlimmer. Egal, wohin sie wollte … sie war eingekesselt von denen, die nicht im Freizeitpark ihre Runden drehten. „Jippiiiii“, konnte sie im Hintergrund Darfo hören und Johnnys funkelnden Sheriff-Stern sehen, die gerade mit einer Kanone noch höher in den Himmel geschossen wurden, nur um dann in einem Auffangnetz zu landen. Schnell krabbelten sie an den Seiten herunter und stellten sich wieder an. 15 Minuten warten, erklärte das Schild auf ihrer Höhe der Schlange. Martha war schlichtweg gefangen. Sie hatte keine andere Wahl. Also fasste sie sich an den Hals … und übergab Sonja fast teilnahmslos ihren „Schmaaaatz“. „Danke“, hauchte ihr die Fee ein Küsschen auf die Wange. Es kam für Martha wie aus dem Nichts, tat aber uuuuunendlich gut. Dann kniete und stampfte der Erfindertrupp in einem Kreis herum, von hinten wurden (aus Ameisensicht) auf einmal Riesen herbeigeführt. „Und ihr könnt uns beraten, wie man ordentlich Marketing macht?“, vergewisserten sich gerade ein Kerl mit einem kaputten Blitz und einer, den sie anscheinend gerade erst am Wegesrand aufgegabelt hatten. Er hatte einen Dreizack und wirkte nicht weniger heruntergekommen als die anderen. „Jaja, wir wissen aaaaaaaalles darüber“, versichten zwei Ameisen und Erdhörnchen Schippa den Männern. „Wie war Dein Künstlername noch einmal?“ „Meiner? Zeus!“ „Nein, nicht Du, Du!“, zeigte Schippa nun auf den Neuling. „Ach, meiner? Poseidon!“ „Sehr gut, sehr gut!“, rieb sich Schippa die Hände und führte sie nun zum Kreis der Wissenschaftler direkt am Rand des Hurrikans. Als Poseidon das sich drehende Ungestüm sah, … fingen seine Augen sofort an zu leuchten. Doch dann: „Pfuii, das ist ja totaler Pfusch! Schlecht im Rand, energielos in den Blitzen, absolut mies im Donner, …“, spuckte er verächtlich aus. „Wer so einen Hurrikan erschaffen hat, der gehört sofort weggesperrt! Dilettanten!“ Kaum hatte er sich, immer noch den Hurrikan musternd, ein wenig abgeregt, … da schossen ein paar Regenbogenstrahlen in ihren buntesten Tönen aus dem Anti-Beutel heraus – und ließen Poseidon den Hurrikan mit einem Mal sofort vergessen. Ein Ex-Junkie wurde mit der süchtig machendsten Droge des Universums wieder in Kontakt gebracht. Seine Venen fingen urplötzlich an zu hämmern, als seine Synapsen begriffen, was die Schmetterlinge und die Erdhörnchen dort in den Händen hatten: ein Stück vom Regenbogen. Geifer lief ihm an den Mundwinkeln herunter. „Gebt mir was davon, biiiiiitte“, sank er auf die Knie, verneigte sich auf seinem Dreizack abstützend wie ein Sklave vor seinem König. „Nur …“, grinste ihn Koschalski, der altes Pergamentpapier mit griechischen Schriftzeichen in seinen Händen hielt, „… nur, wenn ihr den …“, zeigte er auf den Hurrikan, „… aus dem Weg räumen könnt, damit wir den Wetterfeen und der Hexe … „Hexe?“, wollte Zeus nun auf einmal wissen. „Mit zwei Wetterfeen????“ „Ja?“, schaute ihn Sonja fragend an. Poseidon leckte bereits Sonjas Füßchen, nur bitte, bitte, gebt mir endlich, was ich brauche. „Diese ver§%&/ickt Schei&§$%“&%, haben uns betroooooooogen! Mich reingelegt, mich hintergangen!“, fluchte und spuckte der Mann, so dass beinahe die Erde zu wackeln anfing. „Los, …“, trat er jetzt seinem Regenbogenjunkie in die Seite, „… mach den Kinderkram da jetzt weg, das ist das Leichteste für dich!“ Koschalski griff derweilen in den Anti-Beutel, brach eine Mini-Ecke vom Regenbogenstück ab … und reichte es Poseidon. Wie ein Wahnsinniger grapschte er es sich – und schluckte es wie Brausepulver herunter. Drei, zwei, eins … explodierte die komplette Farbpalette des Regenbogens in großen Strahlen aus seinen Augen. „Hihihi, huhuhu, hahaha“, kicherte er wie wild. Alle, alle Ameisen, alle Diamantbären, die „glückliche“ Wetterfee machten aufgrund des durchdrehenden Greises mit seinem Dreizack einen Schritt nach hinten. Und zu aller Entsetzen … riss er sich seinen Lendenschurz vom Leib … und hüpfte wie ein Wilder nackt auf und ab. „Igiiiiittt, ääääh“, drehten sich die Ameisen-Soldaten angeekelt vom nackten Männerkörper weg, und auch Sonja war nicht gerade angetan. Wie ein Bekloppter tanzte er mit bunten Strahlen aus den Augen kommend einen wilden Disco-Tanz der 350er Jahre (v.Chr.), nahm dann unerwartet Anlauf … und sprang mit fünf ausgestreckten Gliedmaßen jubelnd … in den Hurrikan-Abgrund. Alle Beobachter machten einen Schritt an den Rand des Hurrikans, doch zu spät: Es krachte und schepperte, es blitze und donnerte. „Jipppiiiie“, kam es alles übertönend nach oben. Und mit einem Mal machte es „Fluuuuuuusch“ … und der Hurrikan hatte sich aufgelöst, die Wolkendecke vor ihnen war in schönstem Weiß wieder geschlossen. Nur Poseidon lag tief schlafend einige hundert Meter von ihnen entfernt nackt auf dem Boden, der Dreizack neben ihm glühte und dampfte noch. Sichtlich zufrieden, mit diversen Souvenirs und Fahrgeschäftstempeln auf den Händen gingen Darfo und Johnny, Erdbeerinha mit einem Strohhalm aus einem großen Pappbecher schlürfend sowie mit Zuckerwatte in den Händchen, „Knirsch, Knirsch, Knirsch“, an der staunenden Menge vorbei, auf den nun freien Wolkenweg, und taten so, als wäre nie etwas gewesen. „Was ist, können wir? …

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Diese Geschichte ist eine Vorgeschichte des Buches “Die Schmetterlinge und der verschwundene Sommer”. Hier im Blog entstanden, hat sie im Buch noch einmal eine fantastische Verwandlung erlebt! Nur noch rund 60 Prozent von dem, was hier steht, findet sich in dem Märchen-Abenteuer in der goldenen Himmelstadt wieder. Also einfach kaufen, lesen und begeistert sein!

 

Ein Märchen in der goldenen Himmelsstadt ist "Die Schmetterlinge und der verlorene Sommer".

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