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1297 – Stirling Bridge
„Wäret ihr nicht ein Freund meines Vaters, wüsste ich nicht, wie ich euch hätte kennen lernen können“, sagte William Wallace in schlichter Bauernkleidung. Sir Virgil stand in einfachem Waffenrock und einem Helm an seiner Seite. In seiner Hand hatte er sein Schwert, bei dem schon Wetten durch die Reihen der Männer liefen, in welchem orientalischen Land es wohl hergestellt worden war. Niemand konnte hierzulande solch eine süße Rose auf eine deutlich erkennbar teure Klinge zaubern. Keiner der schottischen Schmiede war in der Lage, solch eine edle Waffe herzustellen und dabei so kunstfertig vorzugehen. „Wie sagt doch ein alter Freund immer? Es gibt keine Zufälle, William“, schmunzelte Sir Virgil und schaute den Abhang hinunter. Unter ihnen war die Abtei von Craig und sie standen nördlich der Stadt Sterling. Der Fluss Forth führte unter ihnen entlang und trennte zwei Heere: Das schottische mit ihren Anführern William Wallace und Andrew de Moray, und das des englischen Overlords Edward I. unter der Führung von John de Warenne. William Wallace spuckte auf den Boden. „Das Schwein Edward ist nicht hier. Ich würde ihm das Herz mit einem Löffel ausbuttern“. Sir Virgil verkrampfte sich der Magen. Hier standen Männer, Männer wie William, die aus blankem Hass kämpften. Ein Jahr war es her, da hatte Oberherrscher Edward I. Schottlands Männer, Frauen, Kinder und Greise aus der Stadt Berwick-upon-Tweed gnadenlos abschlachten lassen. Nur weil sie ihm die Hilfe im Krieg gegen die Franzosen verweigert hatten. Waren sie vorher noch einigermaßen frei gewesen, standen sie jetzt unter der Herrschaft der Engländer. „Sag, was bedeutet die blaue Rose auf deinem Kleid?“, neckte ihn Wallace jetzt. „Das wollte ich schon immer wissen. Es ist dein Familienwappen. Wofür steht es?“ Sir Virgil kannte launische Sprüche vor einer Schlacht. Eine wahre Sturmflut von Emotionen durchströmte den Körper eines Kriegers, angepeitscht durch die Unmengen von Adrenalin. Ein letztes Ablenken. „Unter anderem für den Sieg. Den Sieg der Gerechtigkeit. Aber noch für so viel mehr.“ Sir Virgil konnte dem Mann, der bereit war für Rache und für die Unabhängigkeit Schottlands sein Leben zu geben, nicht die volle Wahrheit sagen. „Sieg“, murmelte William nun. „Ja, dann bist du richtig hier.“ Die Blicke der beiden Männer glitten hinunter. Die englische Reiterei baute sich bereits auf. Ein wenig war Sir Virgil schon unwohl. Hier kämpften Ritter. Irdische Ritter. Eigentlich sollte das nicht sein. Aber die Grausamkeit, die über Schottland vor einem Jahr hereingebrochen war, war eines Königs nicht würdig. Es war ein Verbrechen. Sogar für einen Herrscher. Es war eine verständliche Reaktion der Schotten, dass sie sich gegen diesen König auflehnten. Sir Virgil war sich bewusst, dass eigentlich keine Seite hätte sagen können, dass sie auf der guten stand. Keiner wusste das so genau wie er, wie oft hatten sich die Schotten mit den Wikingern verbündet und waren gegen englische Gebiete gezogen? Wie viele unschuldige Menschen hatten dabei ihr Leben verloren? Wie viele William Wallaces waren auf englischer Seite entstanden, die ihre Frauen verloren hatten und nur noch Rache wollten?
Sir Virgil kratze sich den Kopf. Irgendwo her fiel ihm jetzt der Spruch ein „Wer frei von Schuld ist, der werfe den ersten Stein“. War es ein Bekannter, der diesen Satz gesagt hatte? Egal.
„Hmm“, grummelte William neben Sir Virgil. Er hatte sein Schild genommen und hielt es gegen die Sonne. „Wenn die Engländer einen Ortskundigen unter sich haben, dann könnten sie die Furt nehmen, die ein Stück oberhalb des Laufes liegt.“ Sir Virgil hob seine Hand und schaute nach unten. Niemand brauchte ihm vorrechnen, was das bloße Auge schon erkannte. Die Engländer waren fast viermal so viel wie sie. Irgendwie hatte er sich mittlerweile daran gewöhnt in Unterzahl zu kämpfen. Wenn die anderen Truppen wirklich über eine Furt kamen, egal welche, dann würden sie es schaffen, ihre gesamte Streitmacht auf einmal auf den Kampfplatz zu bringen. Allerdings war nicht weit von der momentanen Position der Engländer eine Brücke, die über den Fluss „Forth“ führte. Eigentlich war dieser Weg der naheliegenste. Sir Virgil überlegte. Wie waren die Engländer in der Vergangenheit vorgegangen? Er musste grinsen. Vielleicht schickten sie ja einen Boten, um zu fragen, ob sie über die Furt, in aller Ruhe, durften? Nein. Engländer waren stolz und arrogant. Sie würden wahrscheinlich auch unter einem Einheimischen, der ihnen eine Furt zeigte, Verrat oder eine Falle wittern. Nein. Virgil kam zu dem Schluss, dass das englische Heer die Brücke nehmen würde. Und als hätte er es nicht geahnt, schickten sie zwei Fußläufer, um die Brücke zu inspizieren. Sofort eröffneten einige wenige vorgelagerte Bogenschützen das Feuer und mähten die Kundschafter um. William blickte zu Sir Virgil auf. „Denkst du auch, was ich gerade denke?“, fragte William direkt nach der Aktion? In dem Moment hörten sie Schritte. Andrew de Moray näherte sich ihnen. „Habt ihr das gesehen?“ „Ja gut, dass du ein paar Mann nach dort geschickt hattest.“ „Nein, ich meine, wisst ihr, was das jetzt für einen Eindruck erzeugt haben muss?“ Sir Virgil lächelte. Andrew de Moray hatte auf jedenfall dasselbe gedacht wie er. William antwortete anstelle Sir Virgils. „Sie denken nun, dass wir die Brücke für wichtig erachten.“ „Und der nächste logische Gedanke?“, hakte Virgil nun nach. Andrew de Moray öffnete den Mund: „Sie werden denken, dass wir die Brücke für eine Schwachstelle halten.“ Alle drei Männer drehten sich um und schauten auf die Brücke. Ein warmes Lächeln zog sich in allen Gesichtern die Mundwinkel nach oben. „Ich glaub, die hat da schon weit vor meinem Ur-ur-ur-ur-Großvater gestanden“, sagte William. „Und wenn sie die wirklich nehmen, können immer nur ein paar Mann gleichzeitig, und dazu noch beengt, auf unsere Seite.“ Alle drei Männer rochen den Sieg. Vielleicht war es purer Optimismus, vielleicht aber auch das erfahrene Auge eines Kriegers. „Was meinst du?“, stupste er jetzt Sir Virgil an. Sir Virgil musste fast loslachen. Nicht, dass William auch nackt die Engländer mit seinen blanken Fußnägeln angegriffen hätte, aber der verschmitzte Tonfall in seiner Stimme zeugte noch von viel mehr. „Wann wolltest du mir denn verraten, dass das Terrain direkt hinter der Brücke ein Sumpfgebiet ist?“ William und Andrew de Moray schauten fröhlich auf. „Dann, wenn es soweit gewesen wäre“, brüllten die beiden Männer los und klopften sich auf die Schenkel vor Lachen. „Spätestens aber, wenn der erste englische Reiter auf dich zu galoppiert wäre, mit seinem Schwert ausgeholt hätte, mit seinem Pferd erschrocken feststecken würde und du dich schon in den Matsch geschmissen hättest, um seinem Schlag auszuweichen.“ Jetzt lachten alle drei Männer herzlichst. „Ihr wolltet mir also ein Schlammbad verpassen? Ihr seid nichts anderes als Bauernbengel, die nur Unsinn im Kopf haben“, lachte Sir Virgil mit. „Wir könnten ja noch einen drauflegen, indem wir eine blonde Schönheit nackt auf die Brücke stellen. Dann können diese geilen Böcke gar nicht anders, als die Brücke zu nehmen“, lachte William weiter, der in diesem Moment zum ersten Mal nach langer Zeit nicht mehr an seine Frau dachte. „Da müssten wir aber aufpassen, nicht dass du als Erster über sie herfällst“, brüllte Andrew lauthals aus sich heraus. Ein schmerzverzerrtes Zucken durchlief Williams Gesicht. Noch ehe er was sagen konnte, wurden die Männer abrupt unterbrochen. Bewegung war eindeutig in das feindliche Heer gekommen. Andrew de Moray rannte schnell zu seinen Männern zurück. Als ein Teil der englischen Kavallerie die Nordseite des Flusses erreicht hatte, gab William den Befehl zum Angriff. In zwei Gruppen griffen die schottischen Krieger Hugh de Cressingham, Anführer der Reitergruppe, an. Eindeutiger Vorteil waren die schottischen Lanzenträger, die fast ein müheloses Spiel mit der im sumpfigen Boden steckenden Reiterei der Engländer hatten. Sir Virgil kämpfte hart und schaute immer wieder nach William, wenn er einen Feind zu Boden gestreckt hatte. Gelegentlich schaffte er es auch, Andrew in sein Sichtfeld zu bekommen. Seine Männer hatten einen wesentlich schwereren Kampf. Bereits jetzt zeugten die Wunden am Körper von Andrew von guten gegnerischen Kämpfern. Gerade wollte Sir Virgil wieder ausholen, um einen Feind niederzustrecken, da durchlief ein Krachen und ein Getöse das Schlachtfeld. Kurz hielten die meisten Kämpfer inne und schauten auf. Noch ehe er es begriff, rief im William schon zu: „Das war eine schottische Brücke. Kein Wunder, dass sie uns hilft.“ Andrew hatte sich mit seinen Männern ein Stück näher an sie herangearbeitet, so dass er in Hörweite war. „Das war bestimmt dein Ur-ur-ur-ur-Großvater“, brüllte er grimmig und hieb einen englischen Reiter aus seinem Sattel.
Nicht lange dauerte es, da erkannten die berittenen Engländer, dass sie von ihrer Verstärkung abgeschnitten waren. Der Kampf war fast ausgeglichen. So liebte es Sir Virgil. Hier konnte der Ritterkodex richtig ausgelebt werden. Mann gegen Mann. Doch auf einmal durchlief ein unsichtbarer Impuls die Engländer und sie drängten zur Flucht. Sir Virgil hörte William wutentbrannt herumfluchen. „Dreckige Bastarde! Bleibt stehen und kämpft.“ William war hier, um Engländer zu töten. „Schande über die Brut, die ihr noch zur Welt bringen werdet!“ Sein blutverschmierter Körper hetzte über das Schlachtfeld, den Engländern hinterher. Gerade noch versuchte ein Reiter, an ihm vorbei zu kommen. Schnaufend vor Zorn rannte er mit seinem Schild voran, direkt gegen die Seite des Pferdes. Aufwiehernd und erschrocken, den Schaum vorm Mund, geriet das Pferd samt Reiter aus dem Gleichgewicht und fiel zur Seite. Wie ein gehetztes Tier sprang William wieder auf und wollte sein Schwert in den Hals des Gegners rammen. Da hielt er inne. Vor ihm lag Hugh de Cressingham. Der Anführer hielt seine Hände schützend vor das Gesicht und winselte um Gnade wie ein Hund …
„Ach du meine Güte“, dachte Professor Kuhte. So was steht alles hier in den Büchern?? Hier würde er nie mehr weggehen.
aus „Schmetterlingsgeschichten – Chronik III – One“ von Alexander Ruth